Arbeiten bis der Arzt kommt…

Das Verhalten von ArbeitnehmerInnen, trotz Krankheit am Arbeitsplatz zu erscheinen, nennt die Arbeitsmedizin „Präsentismus“ und ist bereits seit Jahren Thema in der Wirtschaft. Die Mitarbeiterinnen verordnen sich selbst Anwesenheitspflicht aus Angst um ihren Arbeitsplatz. Dies ist nicht wünschenswert, da die Mitarbeiter trotz körperlicher Anwesenheit nicht volle Leistung bringen können und damit die Produktivität sinkt sowie die Unfallgefahr ansteigt. Die durch körperliche und geistige Beeinträchtigungen negativ beeinflusste Konzentrationsfähigkeit führt zu mehr Fehlern. Viele Arbeitgeber, aber auch Arbeitnehmer sind sich der Tatsache nicht bewusst, dass die bloße Anwesenheit das Unternehmen viel teurer zu stehen kommt als das Auskurieren der Krankheit.

Verschiedene Studien zeigen, dass eine Tätigkeit im Bereich personenbezogener Dienstleistungen (MitarbeiterInnen im Gesundheitswesen, LehrerInnen,…) mit einer hohen Neigung zum Präsentismus einhergeht. Während in anderen Berufsgruppen (Baugewerbe, Handel,…) der Durchschnitt bei etwa 52% liegt, gibt es beispielsweise in Spitälern einen besorgniserregenden Wert von über 80%. Die Ursachen dafür scheinen darin zu liegen, dass die Arbeit hier größtenteils aus der Arbeit mit anderen, abhängigen Menschen besteht und soziale Beziehungen einen besonderen Stellenwert einnehmen. Darüber hinaus war der soziale Sektor in den letzten Jahren Gegenstand starker Restrukturierungen und Kürzungen. In der Folge sind die Arbeitsbelastungen gestiegen und damit auch der arbeitsbezogene Stress. Dieser stellt wiederum eine Ursache für Präsentismus dar.

Der Umgang einer Organisation mit Krankenständen kann einen verstärkten Einfluss auf die Neigung, trotz Krankheit zur Arbeit zu erscheinen, haben. Führt eine gewisse Anzahl von kurzen Krankenständen zu einem Gespräch mit dem Vorgesetzten, melden sich die MitarbeiterInnen seltener, dafür aber länger krank. Damit verzichten sie bei kleineren Erkrankungen auf wichtige, kurze Phasen der Arbeitsunfähigkeit und erhöhen damit die Wahrscheinlichkeit einer Verschleppung und Chronifizierung. Gelten zudem strengere Regeln der Krankschreibung, erhöht dies ebenfalls die Neigung zum Präsentismus. Bei einer Vorlagepflicht eines Attestes bereits ab dem ersten Krankenstand ist der Präsentismus um 9% höher, als wenn dies erst ab dem dritten Tag der Fall wäre.

Abschließend sei noch erwähnt, dass auch bei einem positiven Betriebsklima die Wahrscheinlichkeit sinkt, trotz schwerer Erkrankung zur Arbeit zu gehen und die vorherrschende Kultur der Teamorganisation und der Führungsstil eine wesentliche Rolle spielen, wie stark die KollegInnen von Präsentismus betroffen sind. Fazit: Eine nachhaltig gesunde und eine nachhaltig produktive Organisation sind zwei Seiten derselben Medaille! Neben Bildung und Qualifizierung wird das psychische Befinden zur wichtigsten Voraussetzung hoher Leistungsbereitschaft und Leistungsqualität. Die Entwicklung einer Kultur der Achtsamkeit – anstelle der bisherigen Kultur der Sorglosigkeit bzw. Unachtsamkeit – für das psychische Befinden der KollegInnen wird deshalb unserer Auffassung nach zum zentralen Ziel betrieblicher Personal- und Gesundheitspolitik.